Paul Abraham

 Auf Paul Abraham bin ich über die Comedian Harmonists aufmerksam geworden. Sie nahmen in den frühen 30er Jahren einige seiner Lieder auf, darunter war auch eine der ersten Schellackplatten, die ich mein eigen nennen durfte - das "Große Potpourri" aus der Blume von Hawaii. Sie gingen dafür 1931 sogar zweimal innerhalb weniger Wochen ins Studio: am 14.8.31 entstand die Aufnahme mit dem Orchester Lewis Ruth, am 4.9.31 die mit Marek Weber und seinem Orchester:




Daneben sangen sie zum Beispiel auch den Abraham-Schlager "Bin kein Hauptmann, bin kein großes Tier" den der Komponist für den ersten vollvertonten Film der UFA schrieb ("Melodie des Herzens", in dem Willy Fritsch den ersten Satz in einem deutschen Tonfilm sprach: "Ich spare nämlich auf ein Pferd.")

Und so kam es, dass ich mich mit dem Thema Paul Abraham beschäftigte. Sehr schnell stieß ich dann auf die tragischen Details - 10 Jahre in der Psychiatrie in den USA (in Creedmoor, dem größten "Irrenhaus" der Welt), nachdem er eines Abends in den für ihn typischen weißen Handschuhen den Verkehr auf der Fifth Avenue dirigiert hatte. Ob diese Szene jemals so stattgefunden hat, ist ungewiss aber sie steht ja auch nur stellvertretend für die Tragik eines Mannes, der in dem Wahn lebte, noch immer in großen Theatern große Orchester zu dirigieren.

Von dem Moment an hatte mich das Thema "gepackt". Ich stürzte mich auf die einzige Abraham-Biografie die es gibt - "Paul Abraham. Der Tragische König der Operette" von Klaus Waller, deren 2. Auflage 2017 erschien. Ich lernte dass er, in Ungarn geboren, eigentlich Ábrahám Pál hieß, las über seine Jugendjahre, die überwiegend im Dunkel liegen, seine Spielernatur, seinen getriebenen Charakter, seine Anfänge als Komponist und seinen plötzlichen, kometenhaften Aufstieg an den Operettenhimmel von Berlin, wo seine Werke "Viktoria und ihr Husar", "Blume von Hawaii" und "Ball im Savoy" nicht nur auf den Bühnen Triumphe feierten, sondern auch verfilmt wurden. Die Lieder aus den Operetten wurden von allen namhaften Sängern und Orchestern der damaligen Zeit aufgenommen. Wie erwähnt sang das große jungenhafte Schauspieleridol der Weimarer Republik, Willy Fritsch, einen Abraham-Schlager im ersten deutschen Tonfilm. Der Name "Paul Abraham" ist mit dem frühen deutschen Tonfilm eng verknüpft.

Hier berichtet "Mein Film" in Heft 307 (1931) über die Verfilmung von "Viktoria und ihr Husar":




Da Abraham Jude war, endeten seine Berliner Triumphe genauso schnell wie sie begonnen hatten. Seine Operetten wurden nicht mehr aufgeführt, die Filme nicht mehr gezeigt. Er ging zurück nach Budapest von wo aus er weiter arbeitete und noch einige Jahre sowohl in seiner Heimat als auch in Wien Erfolge feiern konnte, aber schließlich flüchtete er über Paris und Kuba nach New York.

New York brachte ihm kein Glück, seine Werke wurden nicht aufgeführt und er erkrankte an syphilitischer Meningoenzephalitis, was dazu führte dass er 1946 ins Bellevue Hospital in Manhattan eingeliefert wurde, und von dort aus in das Creedmoor Psychiatric Center verlegt wurde, wo er die nächsten 10 (!!) Jahre verbrachte.

Mitte der 50er wurde in Deutschland ein Paul-Abraham-Komitee gegründet, das es zum Ziel hatte, den Komponisten in die Bundesrepublik zu bringen, was schließlich nach reichlich Irrungen und Verwicklungen auch gelang. Einen Eindruck davon liefert Klaus Waller auf seiner Webseite zum Thema:  https://www.paul-abraham-bio.de/archiv%205.htm

Auch die amerikanische Presse nahm Anteil, so die Daily News New York, am 15. April 1956:


In einer weiteren tragischen Ironie des Schicksals oder der Geschichte, wurde Paul Abraham ausgerechnet in eine Klinik eingewiesen, die unter der Leitung von Prof. Dr. Hans Bürger-Prinz stand, der während der NS-Zeit zum Einen in Euthanasie-Programme verwickelt war, zum Anderen auch als "Sachverständiger" mit der Beurteilung von Kriegsneurotikern zu tun hatte (die er gern an Exekutionskommandos ausliefern ließ), kurz, der aus Deutschland vertriebene Jude stand nun unter der ärztlichen Aufsicht eines tief in die NS-Psychiatrie verstrickten Mannes. Bürger-Prinz besaß die Frechheit in einem Gutachten über Abraham zu schreiben, er hätte, wenn er denn in Deutschland geblieben wäre, von seiner Krankheit geheilt werden und sein künstlerisches Schaffen fortsetzen können. Man weiß nicht ob man lachen oder weinen soll.

Paul Abraham wurde nun mit seiner Frau "vereint", von der er schon vor seiner Erkrankung getrennt gelebt hatte, und verbrachte seinen Lebensabend mit ihr in Hamburg, wo er am 6. Mai 1960 an Hautkrebs starb. Sein Grab befindet sich auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg.



In der Nachkriegszeit und den folgenden Jahrzehnten wurden seine Operetten verkitscht und versüßlicht an den Zeitgeschmack angepasst aufgenommen, mittlerweile wurden jedoch viele Original-Arrangements wieder aufgefunden, und es gibt Bemühungen, seine Werke so klingen zu lassen wie sie in der Weimarer Republik zu hören waren (nämlich jazzig und frech).

Wer sich in das Thema vertiefen möchte, dem möchte ich das Buch von Klaus Waller ans Herz legen - aber es lohnt sich vermutlich, auf die kommende, bebilderte und aktualisierte Hardcover-Version zu warten!

Einige links zum Thema Paul Abraham:

YouTube Kanal (auch mit Spielfilmen in ganzer Länge)
Facebook-Seite mit regelmäßigen updates (die ich seit einigen Wochen betreuen darf)
Biografie im Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS Zeit
und:


In Memoriam Paul Abraham * 2. November 1892 in Apatin, Königreich Ungarn; † 6. Mai 1960 in Hamburg








Kommentare

  1. Mittlerweile ist die Abraham-Biografie von Klaus Waller als Hardcover-Ausgabe mit zahlreichen Illustrationen erschienen:
    Klaus Waller: Paul Abraham. Der tragische König der Jazz-Operette. Die Biographie. Mit ergänzenden Beiträgen von Henning Hagedorn, Anna-Maria Kemény sowie einem Gespräch mit Barrie Kosky und Adam Benzwi
    Reich illustriert, 384 Seiten, starfruit publications, Fürth, ISBN 978-3-922895-44-2. 28€.
    Das Buch kann bei info@starfruit-publications.de versandkostenfrei bestellt werden, ist aber natürlich auch bei Amazon oder unter https://www.lehmanns.de/shop/geisteswissenschaften/56978174-9783922895442-paul-abraham-der-tragische-koenig-der-jazz-operette (ebenfalls versandkostenfrei) erhältlich.

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