Zum Geburtstag von Harry Frommermann

Harry Frommermann, 12. Oktober 1906 - 29. Oktober 1975


Versuch einer Kurzbiografie

(Notiz der Bloggerin: Im Versuch eine Kurz-Biografie zu schreiben, habe ich die Ereignisse natürlich erheblich verkürzt und kondensiert. Fehler sind mir hoffentlich keine unterlaufen. Wer mehr wissen möchte, möge sich bitte die Quellen am Ende dieses Artikels ansehen. Dieser Blogbeitrag ist als als kleine Hommage an Harry Frommermann anläßlich seines Geburtstages, wie auch als kondensierte Einführung in die Materie für Nicht-Comedian-Harmonists-Spezialisten gedacht. Eigentlich hätte er ja noch viel kürzer sein sollen.... !)

English version: click here

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Am 12. Oktober 1906 wurde Harry Frommermann in Berlin geboren. Sein Vater war ein aus Galizien eingewanderter Kantor und früherer Opernsänger, der mit seiner Frau unter anderem eine Kantorenschule und ein koscheres Restaurant leitete. Harry wuchs von Musik umgeben auf, aber sein eigentlicher Wunsch war es, Schauspieler zu werden, was zu heftigen Konflikten mit seinem Vater führte, der ihn kurzerhand zur Lehre in ein Bekleidungsgeschäft steckte. Als sein Vater starb, nutzte der damals 18jährige Harry die Gelegenheit und begann an der Staatlichen Schauspielschule Berlin zu studieren. Ungünstigerweise wurde er bereits nach einem halben Jahr wegen schlechten Betragens von der Schule verwiesen. Er hielt sich mit kleinen Rollen an der Berliner Volksbühne über Wasser. Unter den Schauspielern die er in dieser Zeit kennenlernte, waren Alexander Granach und Asta Nielsen. Alexander Granach kam gelegentlich in den Genuss der guten Küche von Harrys Mutter (Granach kam, wie die Eltern Frommermann, aus Galizien) und schenkte ihr als Dank ein Grammophon -  und auf diesem Grammophon hörte Harry die Platten der amerikanischen "Revelers", deren Musik er durch Asta Nielsens Tochter kennengelernt hatte.  

Als seine Mutter 1927 starb und er mit 21 volljährig wurde, zog er mit einem Freund in eine kleine Dachwohnung, verkaufte den Nachlass seiner Eltern und begann, ausgefeilte mehrstimmige Arrangements im Stil der Revelers für eine Gruppe zu schreiben, die es noch gar nicht gab.

 

Im Dezember 1927 kratzte er sein letztes Geld zusammen und gab die berühmte Anzeige im Berliner Lokalanzeiger auf, in der er nach Sängern suchte. Zu einem ersten Vorsingen in der Dachwohnung in der Stubenrauchstrasse 47 meldete sich unter anderem ein gewisser Robert Biberti, Chorsänger am Großen Schauspielhaus, ohne formale Ausbildung aber mit einer wohl vom Vater (einem ehemaligen Opernsänger am Berliner Königlichen Opernhaus) geerbten warmen, vollen Bassstimme, der Harrys Begeisterung für die Revelers teilte. Biberti war von Harrys Idee begeistert und führte drei weitere Sänger ein, die er überwiegend vom Chor des Schauspielhauses kannte - den bulgarischen Tenor Ari Leschnikoff, den aus Polen stammenden Bariton Roman Cycowski, und den zweiten Tenor Walter Nussbaum. Schließlich kam noch der blutjunge aber unglaublich talentierte Pianist Erwin Bootz hinzu, dessen Freund von der Musikhochschule, Erich Collin, später Walter Nussbaum als Tenor ersetzte, und das zukünftige sängerische Dreamteam der Weimarer Republik war perfekt.



Harry's komplexe Arrangements erforderten viele intensive Probestunden, in deren Verlauf das Ensemble oft die Hoffnung verließ, denn auch nach Wochen und Monaten waren sie noch meilenweit von der Perfektion entfernt, die auf den Schallplatten der Revelers zu hören war. Nach diesen anfänglichen Schwierigkeiten erhielt die Gruppe einen Vertrag im Großen Schauspielhaus, wo sie während der Umbaupausen in einer Revue auftraten, und einschlugen wie die sprichwörtliche Bombe. In den nächsten Jahren eroberten ihre Platten nicht nur den deutschen Markt, sondern auch viele europäische Länder. Vor allem in Frankreich waren sie sehr beliebt und spielten viele Lieder auch in französischer Sprache ein. Sie werden oft als "die erste Boyband der Welt" bezeichnet, womit man ihnen meiner Meinung nach etwas Unrecht tut, denn im Gegensatz zu dem was man sich unter einer Boyband vorstellt, "konnten sie was". (Wobei sie, laut Robert Biberti, durchaus auch die Kunst des Popo-Wackelns beherrschten.) Vier von ihnen hatten einige Jahre Musik oder Gesang studiert, die beiden anderen stammten aus extrem musikalischen Familien.  Auch Harry, der zwar keine formelle musikalische Ausbildung hatte, besaß eine umfassende musikalische Bildung. (Da sein Vater ihn gern ebenfalls als Kantor gesehen hätte, erhielt er Unterricht in Harmonielehre, Musiktheorie und Klavierspielen. Zudem hatte er ihn bereits als kleinen Knirps zu Proben der Berliner Philharmoniker mitgenommen, wenn sein Freund Arthur Nikisch dort dirigierte). Sie waren eher die ersten Popstars des 20. Jahrhunderts. Harry schrieb die meisten Arrangements und fungierte darüber hinaus als dritter Tenor, oder Tenorbuffo, was ursprünglich so nicht geplant gewesen war.


Robert Biberti, Erich Collin, Roman Cycowski, Erwin Bootz, Ari Leschnikoff, Harry Frommermann


Drei der Comedian Harmonists waren Juden - neben Harry Frommermann waren das Roman Cycowski, der vor Pogromen und Armut aus Polen geflohen war um in Deutschland Musik zu studieren und die deutsche "Kultur" kennenzulernen (das sollte er dann ja auch), und Erich Abraham Collin, der Sohn eines angesehenen und fortschrittlichen Berliner Kinderarztes (der im Übrigen zeitweise ein privates Erholungsheim für Kinder aus armen Berliner Bezirken leitete). Mit dem Jahr 1933 begannen ihre Schwierigkeiten, obwohl ihnen ihr Publikum noch die Treue hielt. Zunächst erfolgte ein Auftrittsverbot in Deutschland so dass die Gruppe nach ihrem letzten Konzert in Deutschland im März 1934 nur noch im Ausland tourte - unter anderem auch in den USA wo sie ein umjubeltes Konzert auf einem Flugzeugträger auf dem Hudson River in New York gaben, in Anwesenheit der gesamten US-amerikanischen Flotte.

1935 platzte der Traum. Die jüdischen Mitglieder der Gruppe wurden nicht in die Reichsmusikkammer aufgenommen, und waren damit mit einem Berufsverbot belegt, ihren arischen Kollegen war es verboten, mit ihnen zu musizieren.  Ihre letzte legal produzierte Aufnahme war passenderweise "Morgen muss ich fort von hier." Vermutlich in der Nacht vom 28. Februar/1. März 1935 schlichen sie sich "wie Diebe" (Robert Biberti) in ihr Aufnahmestudio in der Berliner Philharmonie, um illegalerweise ihre beiden letzten Lieder aufzunehmen - die "Barcarole" aus Hoffmanns Erzählungen, und den Ungarischen Tanz Nr. 5, zu dem Erich Collin einen Text geschrieben hatte (bei späterer Verwendung des Liedes durch die in Berlin verbleibenden arischen Kollegen, wurde sein Name natürlich nicht genannt).


Harry Frommermann und seine Frau Erna, geborene Eggstein, die er 1931 geheiratet hatte, und die übrigen jüdischen Mitglieder mit ihren Frauen gingen zunächst nach Wien wo sie eine neue Gruppe aufbauten. Sie ergänzten sich mit zwei Österreichern (Rudolf Mayreder und Hans Rexeis) und einem weiteren Berliner Emigranten (Ernst Engel, später ersetzt durch Fritz Kramer), und feierten einige Jahre in vielen Teilen der Welt Erfolge, nunmehr meistens als die Comedy Harmonists. Die arischen Mitglieder ergänzten sich in Berlin ebenfalls um drei - "rassisch einwandfreie" - Sänger, aber sie waren natürlich auf den deutschen Markt und "arische", "völkisch einwandfreie" Musik beschränkt.

Die Comedy Harmonists ("Wiener Gruppe"): Erich Collin, Fritz Kramer (am Piano), Rudolf Mayreder, Hans Rexeis, Roman Cycowski, Harry Frommermann

Nach dem Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich mussten die Mitglieder der Comedy Harmonists auch aus ihrer neuen Heimat fliehen und waren nun, noch mehr als zuvor, so gut wie ständig unterwegs, unter anderem auch auf langen Tourneen durch Australien, Südafrika und Südamerika. Besonders in Australien feierten sie große Erfolge. Tragischerweise wurden sie erneut von den Ereignissen überrollt. Nach dem Ausbruch des Krieges war es ihnen nach einer Tournee durch die Vereinigten Staaten und Kanada im Jahre 1940 aufgrund des Seekrieges unmöglich nach Australien zurückzukehren, wo sie geplant hatten, sich dauerhaft niederzulassen - den Staatenlosen unter Ihnen war die australische Staatsangehörigkeit angetragen worden - und so strandeten die Comedy Harmonists in den USA.

Dort wollte sich kein großer Erfolg einstellen - wie viele Emigranten hatten sie das Problem, dass das was sie taten, auf dem amerikanischen Markt nicht funktionierte. Dazu kamen persönliche Konflikte die in dieser nervenaufreibenden Situation hervorbrachen - Erich Collin hatte eine Schwester in Australien, Frau und Kind in Frankreich zurücklassen müssen, Roman Cycowski sorgte sich um seine Familie in Polen. Als Roman die Nachricht von der Ermordung seines Vaters erhielt, beschloss er die Gruppe zu verlassen um den Wunsch seines Vaters zu erfüllen, der ihn immer gern als Kantor gesehen hätte. Rudolf Mayreder, eines der nach 1935 rekrutierten neuen Mitglieder, hatte schon zuvor die Gruppe nach einem Streit mit Collin verlassen. Damit war das Märchen endgültig zu ende.

Harry Frommermann ging mit seiner Frau Marie Erna (was sie später zu "Marion" verkürzte und amerikanisierte) nach New York, wo er sich mit Gelegenheitsarbeiten und etwas Unterstützung von jüdischen Wohlfahrtsorganisationen über Wasser hielt. Er versuchte ein neues Ensemble zu gründen, was aber scheiterte. In den nächsten Jahren trat er in die amerikanische Armee ein und wurde amerikanischer Staatsbürger - von nun an nannte er sich "Harry Frohman". Er wurde für die Truppenbetreuung in Lazaretten eingesetzt.

Nach dem Krieg ging er im Dienst der US Armee zurück nach Deutschland, wo er als Übersetzer in der Vorbereitung der Nürnberger Prozesse arbeitete. 1946 wurde er als Kontrolloffizier zum RIAS nach Berlin versetzt, wo er bis 1947 blieb. Sein Ausscheiden dort war möglicherweise das Resultat aufkeimenden Misstrauens gegenüber europäischen Emigranten kombiniert mit antisemitischen Strömungen und dem beginnenden Verfolgungswahn der McCarthy-Ära.

Harry beschloss sich in der Schweiz eine neue Existenz aufzubauen - seine Frau war noch immer in New York. Auf der Fahrt nach Zürich lernte er Erika von Späth kennen, die noch eine große Rolle in seinem Leben spielen sollte.

Er lebte in einer Pension in Zürich als er ein Telegramm seines ehemaligen Kollegen Erich Collin erhielt, der mit seinem in den USA neugegründeten Ensemble in Skandinavien auf Tournee war, wo unpraktischerweise der Tenorbuffo der Gruppe überraschend verstorben war. Collin bat Harry, einzuspringen, und Harry fuhr sofort nach Dänemark um mit dieser "Amerikanischen Gruppe" zu proben und den Rest der Tournee durch mehrere europäische Länder mit ihnen fortzusetzen. Im Februar 1949 nahm die Gruppe in Basel einige Platten auf, aber aufgrund angeblicher Disziplinlosigkeit der amerikanischen Mitglieder (die früheren Gruppen waren bekannt für ihren unglaublichen Probenfleiß und Perfektionismus) scheiterte das Projekt schließlich.

Nun verschlug es Harry nach Rom wo er beim RAI arbeitete und dort das Angebot erhielt, eine Gruppe im Stil der Comedian Harmonists aufzubauen. Tatsächlich absolvierten "Harry Frohman and his Harmonists" (ein Pianist und sechs Sänger*innen) mehr als 60 Rundfunkauftritte für den RAI. Eine geplante Tournee scheiterte jedoch weil es den an dem Projekt beteiligten zwei jungen Frauen von ihren Eltern verboten wurde, mit Männern zu reisen.

Nach erneuten vergeblichen Versuchen sich, wieder in Zürich, eine Existenz aufzubauen, kehrte Harry schließlich 1951 nach New York zurück. Ein Jahr später wurde seine Ehe geschieden. Es folgten schwere Jahre für den ehemaligen Star: er arbeitete als Taxifahrer, in Fabriken, oder als Buchhalter, unterbrochen von Phasen der Arbeitslosigkeit oder Krankheiten. Ein weiterer Versuch mit Erich Collin, der an der Westküste lebte, eine neue Gruppe aufzubauen, scheiterte schon in der Anfangsphase. Harry experimentierte mit Ein-Mann-Stimmaufnahmen, die er zusammenschnitt und zusammenkopierte so dass der Eindruck eines mehrstimmigen Stimmen-Orchesters entstand.

Mitte der 50er heiratete er die deutsche Auswanderin Olga Bertha Wolff, von der er sich aber schon 1959 wieder trennte. Zunehmend litt er an gesundheitlichen Problemen. Er nahm den Briefkontakt zu Erika von Späth wieder auf, die ihn ermutigte, einen Antrag auf Wiedergutmachung bei der deutschen Regierung zu stellen.

Im Jahr 1962 zog Harry Frohman zu Erika von Späth nach Bremen, wo er seine letzten 14 Lebensjahre verbrachte, stets mit einem gepackten Koffer unter dem Bett. Seine letzten Lebensjahre waren von Krankheiten überschattet, und er fand sich häufig in Auseinandersetzungen mit Robert Biberti, hauptsächlich weil Biberti sich gern als "Gründer" der Comedian Harmonists bezeichnete.  Mit seinen experimentellen Aufnahmen war Harry kein Erfolg beschieden. In einigen Radiosendungen konnte er über die Entstehung der Comedian Harmonists erzählen.


Am 29. Oktober 1975 starb Harry Frohman, kurz vor einem geplanten Treffen mit Robert Biberti und nur wenige Wochen bevor Eberhard Fechner sein Interview mit ihm für eine geplante Dokumentation aufzeichnen konnte. An Harrys Stelle erzählen seine Exfrau Marion sowie Erika von Späth über sein Leben.

Die Renaissancen der Comedian Harmonists nach der Ausstrahlung der erwähnten Dokumentation in den Jahren 1976 und 77, sowie erneut nach dem Erfolg des Vilsmaier-Films 1997 (der die Ereignisse erheblich verfälscht), hat er nicht mehr miterlebt. 

1979 erhielten die Comedian Harmonists den deutschen Schallplattenpreis, nachdem in der zweiten Hälfte der 70er Jahre eine beeindruckende Sammlung von fünf Doppel-LPs erschienen war, 1998 den Echo für ihr Lebenswerk.



Die Comedian Harmonists waren:

Harry Frommermann/Frohman: *12. Oktober 1906 in Berlin; † 29. Oktober 1975 in Bremen

Robert Biberti:  *5. Juni 1902 in Berlin; † 2. November 1985 in Berlin

Erich Abraham Collin: *26. August 1899 in Berlin; † 28. April 1961 in Los Angeles

Roman Cycowski: *25. Januar 1901 in Tuszyn (Polen, damals Russland) † 9. November 1998 in Palm Springs, USA

Ari Leschnikoff: *16. Juni 1897 in Chaskowo, Bulgarien † 31. Juli 1978 in Sofia

Erwin Bootz: *30. Juni 1907 in Stettin; † 27. Dezember 1982 in Hamburg


Quellen:

Die Comedian Harmonists. 6 Lebensläufe von Eberhard Fechner.

The Comedian Harmonists. The Last Great Jewish Performers in Nazi Germany von Douglas E. Friedman

Kantoren, Künstler, Kontinente - Jüdische Schicksale -: Die Familie von Harry Frommermann, Gründer der „Comedian Harmonists“ von Jan Grübler

Comedian Harmonists: Ein Vokalensemble erobert die Welt von Peter Czada

http://www.comedian-harmonists.net/?page_id=275

http://www.cinegraph.de/lexikon/Comedian_Harmonists/biografie.html

This is Harry Frohman speaking, Audiobook








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